Jakob
Lorber
Bischof
Martin
Die
Entwicklung einer Seele im Jenseits
Hardcover /
gebunden, 496 Seiten, EUR 20,00, SFr 33,80, Best.-Nr. 2000, ISBN
3-87495-009-3.
Durch das Innere Wort
empfangen von Jakob Lorber. Nach der 3. Auflage. Lorber-Verlag
Hindenburgstraße 5 D-74321 Bietigheim-Bissingen. Alle Rechte
vorbehalten. Copyright © 2000 by Lorber-Verlag, D-74321
Bietigheim-Bissingen.
1. Kapitel Des
alten Bischof Martin irdisches Ende und seine Ankunft im Jenseits.
[BM.01_001,01] Ein
Bischof, der auf seine Würde große Stücke hielt und ebensoviel
auf seine Satzungen, ward zum letzten Male krank. [BM.01_001,02] Er, der
selbst noch als ein untergebener Priester des Himmels Freuden mit den
wunderlichsten Farben ausmalte er, der sich gar oft völlig
erschöpfte in der Darstellung der Wonne und Seligkeit im Reiche der Engel,
daneben aber freilich auch die Hölle und das leidige Fegefeuer nicht
vergaß, hatte nun als selbst schon beinahe achtzigjähriger
Greis noch immer keinen Wunsch, von seinem oft gepriesenen Himmel Besitz
zu nehmen; ihm wären noch tausend Jahre Erdenleben lieber gewesen als ein
zukünftiger Himmel mit allen seinen Wonnen und Seligkeiten.
[BM.01_001,03] Daher denn unser erkrankter Bischof auch alles anwandte, um
nur wieder irdisch gesund zu werden. Die besten Ärzte mußten stets
um ihn sein; in allen Kirchen seiner Diözese mußten Kraftmessen
gelesen werden; alle seine Schafe wurden aufgefordert, für seine Erhaltung
zu beten und für ihn fromme Gelübde gegen Gewinnung eines
vollkommenen Ablasses zu machen und auch zu halten. In seinem Krankengemach
ward ein Altar aufgerichtet, bei dem vormittags drei Messen zur Wiedergewinnung
der Gesundheit mußten gelesen werden; nachmittags aber mußten bei
stets ausgesetztem Sanktissimum die drei frömmsten Mönche in einem
fort das Breviarium beten. [BM.01_001,04] Er selbst rief zu öfteren
Malen aus: O Herr, erbarme Dich meiner! Heilige Maria, du liebe Mutter,
hilf mir, erbarme dich meiner fürstbischöflichen Würden und
Gnaden, die ich trage zu deiner Ehre und zur Ehre deines Sohnes! O verlasse
deinen getreuesten Diener nicht, du alleinige Helferin aus jeder Not, du
einzige Stütze aller Leidenden! [BM.01_001,05] Aber es half
alles nichts; unser Mann verfiel in einen recht tiefen Schlaf, aus dem er
diesseits nicht mehr erwachte. [BM.01_001,06] Was auf Erden mit dem
Leichnam eines Bischofs alles für hochwichtige Zeremonien
geschehen, das wisset ihr, und wir brauchen uns dabei nicht länger
aufzuhalten; dafür wollen wir sogleich in der Geisterwelt uns umsehen, was
unser Mann dort beginnen wird! [BM.01_001,07] Seht, da sind wir schon
und seht, da liegt auch noch unser Mann auf seinem Lager; denn solange
noch eine Wärme im Herzen ist, löst der Engel die Seele nicht vom
Leibe. Diese Wärme ist der Nervengeist, der zuvor von der Seele ganz
aufgenommen werden muß, bis die volle Löse vorgenommen werden kann.
[BM.01_001,08] Aber nun hat dieses Mannes Seele schon völlig den
Nervengeist in sich aufgenommen, und der Engel löst sie soeben vom Leibe
mit den Worten: Epheta, d.h. Tue dich auf, du Seele; du Staub
aber sinke zurück in deine Verwesung zur Löse durch das Reich der
Würmer und des Moders. Amen. [BM.01_001,09] Nun seht, schon
erhebt sich unser Bischof, ganz wie er gelebt hatte, in seinem vollen
Bischofsornate und öffnet die Augen. Er schaut erstaunt um sich und sieht
außer sich niemanden, auch den Engel nicht, der ihn geweckt hat. Die
Gegend ist nur in sehr mattem Lichte gleich einer ziemlich späten
Abenddämmerung, und der Boden gleicht dürrem Alpenmoose.
[BM.01_001,10] Unser Mann erstaunt nicht wenig über diese sonderbare
Bescherung und spricht nun zu sich: Was ist denn das? Wo bin ich denn?
Lebe ich noch oder bin ich gestorben? Denn ich war wohl sehr krank und es kann
leicht möglich sein, daß ich mich nun schon unter den Abgeschiedenen
befinde! Ja, ja, um Gotteswillen, es wird schon so sein! O
heilige Maria, heiliger Joseph, heilige Anna, ihr meine drei mächtigsten
Stützen: kommet und helft mir in das Reich der Himmel!
[BM.01_001,11] Er harrt eine Zeitlang, sorglich um sich spähend, von
welcher Seite die drei kommen würden; aber sie kommen nicht.
[BM.01_001,12] Er wiederholt den Ruf kräftiger und harrt; aber es
kommt immer noch niemand! [BM.01_001,13] Noch kräftiger wird derselbe
Ruf zum drittenmal wiederholt, aber auch diesmal vergeblich!
[BM.01_001,14] Darob wird unserem Manne überaus bange. Er fängt
an, etwas zu verzweifeln und spricht in seiner stets verzweifelter werdenden
Lage: Oh, um Gotteswillen, Herr, steh mir bei! (Das ist aber nur sein
angewöhntes Sprichwort.) Was ist denn das? Dreimal habe ich
gerufen, und umsonst! [BM.01_001,15] Bin ich denn verdammt? Das kann
nicht sein, denn ich sehe kein Feuer und keine Gottstehunsbei!
[BM.01_001,16] Hahahaaaaa (zitternd) es ist wahrhaft schrecklich!
So allein! O Gott, wenn jetzt so ein Gottstehunsbei herkäme, und
ich keinen Weihbrunn, dreimal consekriert, kein Kruzifix, was
werde ich tun?! [BM.01_001,17] Und auf einen Bischof soll der
Gottstehunsbei eine ganz besondere Passion haben! Oh, oh, oh (bebend vor
Angst), das ist ja eine ganz verzweifelte Geschichte! Ich glaube gar, es stellt
sich bei mir schon Heulen und Zähneklappern ein? [BM.01_001,18] Ich
werde mein Bischofsgewand ablegen, da wird Gottstehunsbei mich nicht erkennen!
Aber damit hätte Gottstehunsbei vielleicht noch mehr Gewalt über
unsereinen?! O weh, o weh, was ist der Tod doch für ein
schreckliches Ding! [BM.01_001,19] Ja, wenn ich nur ganz tot wäre, da
hätte ich auch keine Furcht; aber eben dieses Lebendigsein nach dem Tode,
das ist es! O Gott, steh mir bei! [BM.01_001,20] Was etwa geschähe, so
ich mich weiterbegäbe? Nein, nein, ich bleibe! Denn was hier ist, das
weiß ich nun aus der kurzen Erfahrung; welche Folgen aber nur ein
rätselhafter Tritt weiter vor- oder rückwärts hätte, das
wird allein Gott wissen! Daher will ich in Gottes Namen und im Namen der
seligsten Jungfrau Maria lieber bis auf den Jüngsten Tag hier verharren,
als mich nur um ein Haarbreit vor- oder rückwärts
bewegen!
2. Kapitel Bischof
Martins Langeweile in seiner Vereinsamung und sein Sinnen auf
Abwechslung.
[BM.01_002,01] Nachdem
unser Mann die Zeit von einigen Stunden da mauerfest gestanden war und sich
dabei nichts ereignet und in seiner Nähe verändert hatte, ihm aber
entsprechend die Zeit (denn auch in der naturmäßigen Sphäre der
Geisterwelt gibt es eine Erscheinlichkeit gleich der irdischen Zeit) ganz
verzweifelt lang geworden war, fing er wieder an, mit sich zu phantasieren:
[BM.01_002,02] Sonderbar, nun stehe ich da wenigstens eine halbe
Ewigkeit auf ein- und demselben Fleck, und es bleibt alles völlig beim
alten! Nichts rührt sich! kein Moos, kein Haar auf meinem Haupte, auch
mein Gewand nicht! Was wird da am Ende herauskommen? [BM.01_002,03] Bin ich
vielleicht gar dazu verdammt, ewig hier zu bleiben? Ewig? Nein, nein,
das kann nicht sein, denn da wäre das schon eine Hölle! Und wäre
das hier der Fall, müßte ja auch schon die schreckliche
Höllenuhr mit ihrem allerschrecklichsten Pendel zu erschauen sein, der da
bei jeder Schwingung den Ruf tut: ,Immer! oh, erschrecklich!
, dann wieder: ,Nimmer! ooh, noch erschrecklicher!
[BM.01_002,04] Gott sei Dank, daß ich nur dies Schreckenszeichen der
Ewigkeit nicht sehe! Oder wird das erst nach dem Jüngsten Tage
ersichtlich! Wird etwa schon bald das Zeichen des Menschensohnes am Firmamente
zum Vorscheine kommen? Wie viele Millionen Jahre stehe ich denn schon hier? Wie
lange werde ich etwa noch stehen müssen, bis der erschrecklichste
Jüngste Tag kommen wird?! [BM.01_002,05] Wahrlich kurios: Auf der Welt
läßt sich nichts sehen, was da in Bälde auf den Jüngsten
Tag irgendeinen Bezug hätte; aber hier in der Geisterwelt sieht es noch
endlos stummer aus! Denn da werden tausend Jahre gleich einem völlig
stummen Augenblicke, und eine Million tut einen ebenso geringen Bescheid! Wenn
ich nicht so festen Glaubens wäre, möchte ich beinahe an dem
einstigen Eintreffen des Jüngsten Tages zu zweifeln anfangen, wie
überhaupt an der Echtheit des ganzen Evangeliums! [BM.01_002,06] Denn
es ist doch kurios, alle die Propheten, die darin vorkommen, haben eine
frappante Einstimmigkeit mit den delphischen Orakelsprüchen! Man kann aus
ihnen machen, was man will: sie lassen sich mit einigen exegetischen Drehungen
auf alles anwenden und niemand kann dabei klar sagen: ,Auf dies alleinige
Faktum beziehen sie sich! Kurz, sie passen im Grunde alle für den
Steiß so gut wie fürs Gesicht! Und der Heilige Geist, der im
Evangelium soll verborgen stecken, muß gar ein seltenster Vogel sein,
weil er sich seit den alten Apostelzeiten nimmer irgendwo hat blicken lassen,
außer im albernen Gehirn einiger protestantisch-ketzerischer
Schwärmer à la Tausendundeine Nacht! [BM.01_002,07] Ich habe
zwar noch immer einen sehr festen Glauben, aber ob er unter diesen
Umständen noch länger fest bleiben wird, dafür könnte ich
wahrlich nicht gutstehen! [BM.01_002,08] Auch mit der in meiner Kirche
überaus vielgepriesenen Maria, wie mit der ganzen Heiligen Litanei scheint
es seine sonderbaren Wege zu haben! Wäre irgend etwas an der Maria, so
hätte sie mich doch schon lange erhören müssen; denn von meinem
Absterben bis zum gegenwärtigen Augenblicke sind nach meinem peinlichen
Gefühl etwa ein paar Millionen Erdjahre verstrichen; von der Mutter
Gottes, wie von ihrem Sohne, noch von irgendeinem andern Heiligen ist aber auch
nicht die leiseste Spur zu entdecken. Das sind wahrlich Helfer in der Not, wie
man sich keine besseren wünschen könnte! Sage zwei Millionen
Jahre komplett und von allen keine Spur! [BM.01_002,09] Wenn ich nur
keinen so festen Glauben hätte, da stünde ich schon lange nicht mehr
auf diesem überaus langweiligen Fleck; nur mein dümmster Glaube
hält mich! Aber lange wird er mich nicht mehr halten! Sollte ich etwa noch
einige Millionen Jahre länger hier hocken wie ein Buschklepper und nach
Ablauf solch einer schauderhaft langen Zeit ebensowenig erreichen wie bisher?
Da wäre ich ein Narr! Ist's denn nicht genug, daß ich auf der Erde
einen Narren gespielt habe für nichts und wieder nichts? Daher werde ich
mit dieser fruchtlosen Komödie hier bald ein Ende machen!
[BM.01_002,10] Auf der Welt wurde ich für die Dummheit doch ehrlich
bezahlt und es lohnte sich dort, einen Narren zu machen; aber da an der Sache,
wie nun meine millionenjährige Erfahrung es zeigt, nichts ist, werde ich
mich sehr bald von all der Narrheit ganz gehorsamst empfehlen!
[BM.01_002,11] Seht, jetzt wird er bald diese Stelle verlassen, nachdem ihm
der Engel die etlichen Stunden seines Hierseins in ein Millionen Jahre
dauerndes Gefühl umgewandelt hatte. Noch steht unser Mann mauerfest
auf dem Punkte und schaut etwas schüchtern umher, um sich gleichsam einen
Weg auszusuchen, den er fortwandeln möchte. Nun fixiert er gegen Abend
einen Punkt, wo es ihm vorkommt, als bewege sich dort etwas. Er wird darum auch
sichtlich verlegen und spricht wieder bei sich: [BM.01_002,12] Was
sehe ich denn dort in einiger Ferne nun zum erstenmal seit einigen Millionen
Jahren meines entsetzlich langweiligen Hierseins? Die Geschichte verursacht mir
eine große Bangigkeit, denn es kommt mir vor, als wäre das etwa doch
irgendeine leise Vorbereitung zu einem Gerichte! [BM.01_002,13] Soll ich's
wagen, mich dahin zu begeben? Am Ende ist das mein Untergang für ewig?
Vielleicht aber doch auch eine endliche Erlösung?! [BM.01_002,14] Nun
ist schon alles ein Gottstehunsbei; denn wer wie ich Millionen von Erdenjahren
auf einen Punkt gebannt zugebracht hat, dem ist es schon völlig einerlei,
was da noch weiter mit ihm geschehen dürfte! Was Ärgeres wohl kann
einem ehrlichen Menschen noch obendarauf geschehen, als über alle
Bildsäulen hinaus dauernd Millionen Jahre im echten Sinne des
Wortes auf einen Punkt gebannt so ganz eigentlich verdammt zu sein?!
[BM.01_002,15] Daher, wie die Bergleute auf der Erde sagen, wenn sie in
einen Stollen fahren, sage ich nun auch: Glück auf! Hol's der Kuckuck; ich
probier' es einmal! Mehr als ewig tot werden kann ich nicht! Und wahrlich, das
könnte mir nur höchst erwünscht sein; denn so ein Leben
fortleben, wie nun dies meinige Millionen Jahre auf einem Flecke!
kein Fixstern würde es aushalten! Da ist ein ewiges Nichtsein ja ein
endloser Gewinn dagegen! [BM.01_002,16] Daher keinen Augenblick mehr
gezaudert! Geht's wohin's will! Es ist nun ein nein, das sag' ich doch
noch nicht gerade heraus; denn hier ist noch eine starke Terra incognita
für mich! Daher nur bescheiden, solange man nicht weiß, worauf so
ganz eigentlich die Füße stehen! [BM.01_002,17] Die Geschichte
dort rührt sich immer mehr; es ist wie ein Bäumchen, das vom Winde
beunruhigt wird! Nur Mut, meine des Gehens freilich schon überlange
entwöhnten Füße! Wir wollen einmal sehen, ob es sich mit dem
Gehen noch tun wird! [BM.01_002,18] Zwar hab' ich auf der Welt einmal
gehört soviel ich mich entsinnen kann , ein Geist dürfte
eigentlich nur denken, so wäre er auch schon dort, wo er sein wollte. Aber
eben mit der Geisterschaft meiner Person scheint es seine krummen Wege zu
haben! Denn ich besitze Füße, Hände, Kopf, Augen, Nase, Mund
kurz alles, was ich auf der Erde gehabt habe, Magen auch; aber
der hat schon lange einen wahren Kardinalfasttag! Denn gäbe es um mich her
nicht ein reichliches Moos mit viel Tau darauf, wäre ich wohl schon lange
zu einem Atom eingeschrumpft! Vielleicht gibt es dort auch für den Magen
irgend etwas Besseres?! [BM.01_002,19] Noch einmal: Glück auf! Eine
Veränderung, wenn sonst nichts; diese kann auf keinen Fall schlechter sein
als mein jetziger Zustand. Denn wer Millionen Jahre auf einem Flecke steht, der
wird sich doch etwa mit einem wahren Millionzustande rühmen können?!
Also, in Gott's Namen!
3. Kapitel Bischof
Martin in Gesellschaft eines scheinbaren Kollegen. Die guten Vorschläge
des Führers.
[BM.01_003,01] Seht, nun
setzt unser Mann seine Füße in Bewegung und geht behutsam und
prüfenden Schrittes seinem sich stets mehr bewegenden Gegenstande zu!
[BM.01_003,02] Nach wenigen Schritten auch schon ganz wohlbehalten dort,
staunt er nicht wenig, unter dem Baume auch einen Mann seinesgleichen zu
finden, nämlich auch einen Bischof in optima forma, freilich nur
der Erscheinlichkeit nach; denn in Wirklichkeit ist das der Engel, der stets
unsichtbar unserem Manne zur Seite war. Der Engel selbst aber ist der selige
Geist Petri. [BM.01_003,03] Höret nun, wie unser Mann seinen
vermeintlichen Kollegen anredet und sich weiterhin mit ihm bespricht! So
beginnt er: [BM.01_003,04] Seh ich recht oder ist es bloß ein
Augentrug? Ein Kollege, ein Mitarbeiter im Weinberge des Herrn?! Welch eine
endlose Freude, nach Millionen Jahren endlich wieder einmal einen Menschen, und
einen Kollegen noch dazu, in dieser Wüste aller Wüsten zu finden!
[BM.01_003,05] Ich grüße dich, lieber Bruder! Sage, wie bist
denn du hierher gekommen? Hast du etwa auch schon mein Alter in dieser
schönen Geisterwelt erreicht? Weißt, so zirka fünf Millionen
Jahre auf einem und demselben Flecke, fünf Millionen Jahre!
[BM.01_003,06] Der Engel als vermeintlicher Bischofskollege spricht:
Ich bin fürs erste dir ein Bruder im Herrn und natürlich auch
ein alter Arbeiter in Seinem Weinberge. Was aber mein Alter betrifft, da bin
ich der Zeit und dem Wirken nach älter, aber der Einbildung nach viel
jünger als du. [BM.01_003,07] Denn siehe, fünf Millionen Jahre
der Erde sind ein ganz respektabler Zeitraum für einen geschaffenen Geist,
obschon vor Gott kaum etwas, indem Sein Sein weder durch die Zeitenfolge
noch durch Raumesausdehnungen bemessen wird, sondern in allem ewig und
unendlich ist! [BM.01_003,08] Du bist daher in einer großen Irre als
Neuling in der endlosen Welt der Geister. Denn wärest du fünf
Millionen Jahre hier, dann hättest du schon lange ein anderes Kleid, indem
in dieser Zeit der Erde Berge schon lange werden geebnet und ihre Täler
ausgefüllt, ihre Meere, Seen, Flüsse und Moräste ausgetrocknet
sein. Und auf der Erde wird auch eine ganz neue Schöpfung bestehen, von
der nun noch nicht einmal der leiseste Keim in die Furchen gelegt ist!
[BM.01_003,09] Auf daß du, lieber Bruder, es aber selbst merkst,
daß dein vermeintliches Alter bloß eine in dir selbst
hervorgelockte Phantasie ist, als Entwicklung zugelassen aus dir selbst
entstammte nach deinen eigenen Begriffen von Zeit und Raum, die bei dir stark
mit der Hölle eingesalzen sind so siehe dich um und du wirst noch
deinen erst vor drei Stunden abgeschiedenen Leichnam entdecken!
[BM.01_003,10] Seht, unser Mann kehrt sich nun schnell nach
rückwärts und entdeckt wirklich seinen Leichnam noch auf dem dazu in
der Domkirche eigens errichteten Paradebette, darum eine zahllose Menge Kerzen
und eine noch größere Menge müßiger und neugieriger
Menschen, die dasselbe umstehen. Als er solchen Schauspiels ansichtig
ward, da wurde er sehr ärgerlich und sprach: [BM.01_003,11] (Der
Bischof:) Liebster Bruder, was soll ich da tun? Ach, welch ein
gräßlicher Unsinn! Mir werden vor der entsetzlichsten Langeweile
Minuten zu Ewigkeiten, und doch bin ich es ja, der diesen Leib bewohnt hat! Ich
weiß mir vor Hunger und Lichtmangel kaum zu helfen, und diese Narren
vergöttern meinen Fleischrock! Hätte ich nun als Geist denn nicht
Kraft dazu, diesen Plunder klein zu zerreißen und wie Spreu untereinander
zu werfen? O ihr dummen Gottstehunsbei! Was wollt ihr denn hier dem
stinkenden Dreck für eine Wohltat erweisen?! [BM.01_003,12] Der
Engel spricht: Kehre dich wieder zu mir und ärgere dich nicht;
tatest du doch dasselbe, als du noch der äußeren Naturwelt
angehörtest! Lassen wir das Tote den Toten begraben; du aber wende dich
von all dem ab und folge mir, so wirst du zum Leben gelangen!
[BM.01_003,13] Der Bischof fragt: Wohin aber soll ich dir folgen?
Bist du etwa gar mein Namenspatron, der hl. Bonifazius, daß du dich nun
so sehr um mein Heil zu kümmern scheinst? [BM.01_003,14] Spricht
der Engel: Ich sage in des Herrn Jesu Namen: du sollst mir zu Jesus
folgen! Der ist der rechte Bonifazius aller Menschen; aber mit deinem
Bonifazius ist es nichts, und ich bin es schon ganz und gar nicht, wofür
du mich anzusehen scheinst, sondern ein ganz anderer! [BM.01_003,15]
Folge mir aber, d.h. tue, was ich dir nun sagen werde, so wirst du fürs
erste alles fassen, was dir bis jetzt begegnet ist, und wie, durch was und
warum. Fürs zweite wirst du dich sogleich auf einem besseren Grunde
befinden; und endlich fürs dritte wirst du eben daselbst den Herrn quo-ad
personam kennenlernen, durch Ihn den Weg in die Himmel, und danebenher auch
mich, deinen Bruder! [BM.01_003,16] Spricht der Bischof: Rede,
rede, ich möchte schon lieber fliegen als gehen von diesem langweiligsten
Orte! [BM.01_003,17] Spricht der Engel: So höre! Lege
sogleich dein lächerliches Gewand ab und ziehe da diesen gemeinen
Bauernrock an! [BM.01_003,18] Spricht der Bischof: Nur her
damit; hier vertausche ich dies langweilige Kleid gerne mit dem gemeinsten
Fetzen! [BM.01_003,19] Spricht weiter der Engel: Gut
sieh, schon bist du im Bauernrocke; nun folge mir!
...
10. Kapitel
Bischof Martin auf Abwegen. Winke des Herrn über geistige Zustände
und deren Entsprechungen.
[BM.01_010,01] Wer von
euch am Kompaß des Geistes sich auskennt, wird bald merken, daß
unser Mann nun statt gegen Mittag schnurgerade gegen Abend seine Richtung
eingeschlagen hat. Er geht nun ganz mutig und behende vorwärts; aber er
entdeckt nichts außer sich als einen mit spärlichem Moose
bewachsenen ebenen Boden und eine sehr matte, graulichte Beleuchtung des
scheinbaren Firmaments, das, je mehr und je tiefer gen Abend, stets dunkler
wird. [BM.01_010,02] Diese sichtlich zunehmende Dunkelheit macht ihn etwas
stutzen; aber es hält ihn nicht ab, seinen Gang einzuhalten, wovon der
Grund ist, weil seine Erkenntnis und sein Glaube so gut wie gar nichts sind.
Was aber noch da, das ist falsche Begründung wider das reine Wort des
Evangeliums, somit barstes Antichristentum und ein im verborgenen Hintergrunde
in humoreske Maske verhüllter Sektenhaß. [BM.01_010,03] Daher
dieses Bischofs Gang gegen den stets dunkler werdenden Abend; daher der mit
spärlichem Moose bewachsene Boden, welcher die Trockenheit und die
magerste Geringheit Meines Wortes in dieses Mannes Gemüte bezeichnet.
Daher auch das stets zunehmende Dunkel, weil das zu gering und gar nicht
geachtete und noch weniger beachtete Wort Gottes (vor dem sich derlei
Bischöfe nur pro forma in roten und goldenen Gewändern beugen) in ihm
nie zu jener Lebenswärme gedieh, aus der dann das herrliche Licht des
ewigen Morgens für den Geist hätte hervorgehen können.
[BM.01_010,04] Solche Menschen müssen in der Geisterwelt in die
größte scheinbare Verlassenheit kommen und in die vollste Nacht;
dann erst ist es möglich, sie umzukehren. Wie schwer es aber hier auf der
Welt ginge, einen solchen Bischof auf den wahren Apostelweg zu bringen, ebenso
und noch bei weitem schwerer geht es dort, weil er dort von außen her als
Geist natürlich rein unzugänglich ist, in ihm aber nichts ist als
Irrtümliches, falsch Begründetes und im Grunde Herrschsüchtiges.
[BM.01_010,05] Meiner Gnade aber sind freilich wohl viele Dinge
möglich, die dem gewöhnlichen Ordnungsgange unmöglich
wären! Daher wollet ihr eben bei diesem Manne praktisch beschauen, wohin
er kommen kann mit dem, was da in ihm ist, und was am Ende, wenn sozusagen alle
Stricke reißen, noch Meine Gnade bewirken kann, ohne in die Freiheit des
Geistes einzugreifen. Solche Gnade wird diesem Manne auch zuteil, weil er
einmal gebeten hatte, daß Ich ihn mit Meiner Hand ergreifen möchte!
Aber eher kann ihn die ausschließliche Kraft Meiner Gnade dennoch nicht
ergreifen, als bis er all den eigenen Plunder von allerlei Falschem und
verborgen Bösem aus sich hinausgeschafft hat, was sich durch den Zustand
der dichtesten Finsternis, die ihn umgeben wird, kundtun wird.
[BM.01_010,06] Nun aber richten wir unsere Augen wieder auf unsern
Wanderer! Langsam und behutsamen Schrittes schreitet er wieder
vorwärts, bei jedem Schritte den Boden prüfend, ob er wohl fest genug
wäre, ihn zu tragen. Denn der Boden wird nun hie und da sumpfig und
moorig, was ein entsprechendes Zeichen ist, daß alle seine falsch
begründeten Erkenntnisse bald in ein unergründliches Geheimnismeer
münden werden. Daher stoßen sie schon jetzt auf unterschiedliche
kleine Geheimnissümpfe in stets dichter werdender Dunkelheit ein
Zustand, der sich schon auf der Welt bei vielen Menschen dadurch kundgibt,
daß sie, so ein Weiserer mit ihnen etwas vom Geistes- und Seelenleben
nach dem Tode zu reden beginnt, sogleich mit dem Bedeuten davon abzulenken
suchen: so etwas mache sie ganz verwirrt, verstimmt und traurig, und der Mensch
würde, so er viel über derlei nachgrübeln möchte, am ersten
zu einem Narren. [BM.01_010,07] Diese Scheu ist nichts anderes als ein
Auftritt des Geistes auf einen solchen Boden, der schon sehr sumpfig ist, und
wo niemand mehr den Mut hat, die unbestimmten Tiefen solcher Sümpfe mit
seinem überaus kurzen Erkenntnismaßstabe zu bemessen aus Furcht,
dabei etwa ins Grundlose hinabzusinken. [BM.01_010,08] Seht, der Boden, der
unsern Mann trägt, fängt an, stets gedehntere förmliche kleine
Seen zu entwickeln, zwischen denen sich nur noch kleine und schmale, scheinbare
Erdzungen durchschlängeln. Dies entspricht den hirngespinstischen
Faseleien eines solchen erkenntnislosen Gottbekenners mit dem Munde, dessen
Herz aber dennoch der purste Atheist ist. [BM.01_010,09] Auf solchem Boden
also wandert nun unser Mann den Weg, den viele Millionen wandeln! Immer
schmäler werden diese Erdzungen zwischen den stets bodenloser werdenden
Seen, voll verzweifelter Unergründlichkeit für seine Erkenntnis. Er
wankt schon stark, wie jemand, der über einen schmalen Steg geht, unter
dem ein reißender Bach dahinstürzt. Aber dennoch bleibt er nicht
stehen, sondern wankt aus einer Art falscher Wißbegierde fort, um
irgendein vermeintliches Ende der Geisterwelt zu finden; zum Teil aber auch, um
heimlich die schönen Schafe und Lämmer zu suchen, denn diese gehen
ihm noch nicht aus dem Sinn! [BM.01_010,10] Wohl ist ihm alles genommen
worden, was ihn daran erinnern könnte: das Buch, die Wiese, der Stein (des
Anstoßes) samt den Schafen und Lämmern, die ihm einmal auf der Welt
sehr viel bezaubernd Reizendes und überaus erheiternd Angenehmes
bedeuteten. Darum führte sie ihm der Engel Petrus auch hauptsächlich
vor, um seine Schwächen in ihm zu enthüllen und ihn auch dadurch mehr
abzuöden. [BM.01_010,11] Nun sehen wir auch, was unseren Mann also
treibt, bis er ans grenzenlose Meer kommen wird, wo es dann heißen wird:
Bis hierher und nicht weiter reicht alle deine Blindheit, Dummheit und
übergroße Narrheit! [BM.01_010,12] Lassen wir ihn daher
nur fortwanken bis an die äußerste Erdzungenspitze seiner Faseleien,
der er nun nicht mehr ferne ist. Dort wollen wir ihn dann nach Muße
behorchen, was alles für Narrheiten er in das Meer seiner Geistesnacht
hinausspeien wird! [BM.01_010,13] Ein jeder von euch aber erforsche seine
geheimen dummen Weltneigungen genau, auf daß er über kurz oder lang
nicht auf den sehr traurigen Weg dieses Wanderers kommen wird!
11. Kapitel Die
bedrängte Lage unseres Wanderers; sein weiteres Selbstgespräch und
ärgerliches Schimpfen.
[BM.01_011,01] Nun sehet
hin: unser Mann hat bereits das Meer erreicht; kein Zünglein teilt irgend
mehr das endlose Gewässer dieses Meeres, was eben aus dem grenzenlosen
Unverstande dieses Mannes entspringt und selben in entsprechender Form
darstellt. Auch bezeichnet es jenen Zustand des Menschen, in dem er fast zu gar
keiner Vorstellung von was immer gelangen kann und förmlich begrifflos
wird gleich einem kompletten Narren, bei dem alle seine Begriffe chaotisch in
ein Meer von Unsinn zusammenfließen. [BM.01_011,02] Mürrisch und
voll Unwillen steht er nun am letzten Rande, das ist: am letzten Begriffe,
nämlich bei sich selbst! Sich allein noch erkennt er; alles andere ist zu
einem finsteren Meere geworden, in dem nichts als allerlei unförmliche,
finstere Ungeheuer dumpf und blind und stumm herumschwimmen und unseren Mann
umreihen, als wollten sie ihn verschlingen. Groß ist die Dunkelheit und
feucht und kalt der Ort; unser Mann erkennt nur aus der Wellen mattestem
Schimmer und dem grauenerregenden dumpfen Geplätscher der Wogen, daß
er sich nun am Rande eines unermeßlichen Meeres befindet.
[BM.01_011,03] Höret nun aber wieder ihn selbst, was er nun für
sonderliches Zeug zusammenfaselt, damit ihr erkennen möget, wie es nicht
nur diesem Manne, sondern noch einer zahllosen Menge von Menschen ergeht, die
alles im Kopfe, in ihrer dümmsten Einbildung, aber wenig oder nichts in
ihrem Herzen besaßen und noch besitzen! Horchet nun, er beginnt zu
sprechen: [BM.01_011,04] (Bischof Martin:) So, so, so, jetzt
ist es recht! O du verfluchtes Sauleben! Wenigstens zehn Millionen Erdenjahre
mußte ich als arme Seele in dieser Nacht und barsten Finsternis
herumirren, um statt eines erwünschten guten Zieles an ein Meer zu
gelangen, das mich ohne weiteres für die gesamte Ewigkeit verschlingen
wird! [BM.01_011,05] Das wär' mir ein schönes Requiescant
in pace, et lux perpetua luceat eis!! Auf der Welt werden sie diese
herrliche Hymne mir sicher oft genug nachgesungen haben. Ich ruhe nun wohl
für die Welt ewig, und meine Asche wird noch irgend von einer Sonne
beschienen oder von einem phosphorischen Moderschimmer einer Totengruft; aber
ich, ich, der eigentliche Ich was ist aus mir geworden?
[BM.01_011,06] Ich bin wohl noch ganz derselbe, der ich war; aber wo, wo
bin ich, wo bin ich hingekommen? Hier steh' ich an der lockeren Spitze einer
schmalsten Erdzunge, wenn man diesen Boden auch Erde nennen kann, und rings um
mich her ist die dickste Nacht und ein ewiges, unergründliches Meer!
[BM.01_011,07] O Menschen, die ihr auf der Erde noch die große Gnade
habt, das Leben des Leibes zu besitzen vorausgesetzt, daß die Erde
noch besteht , wie endlos glücklich seid ihr und wie enorm reich
gegen mir alle, die ihr dort in den dürftigsten Lumpen gute Menschen um
einen Zehrpfennig anflehet! Leider erwartet euch hier mein oder vielleicht noch
ein viel ärgeres Los! [BM.01_011,08] Daher rette sich dort, wer sich
nur immer retten kann: entweder durch feste Haltung der Gesetze Gottes, oder er
werde mit Leib und Seele ein Stoiker, was vorzuziehen ist; alles andere taugt
für nichts! Hätte ich das eine oder das andere getan, so wäre
ich nun glücklicher; so aber stehe ich als ein ewiger Ochse und Esel
zugleich nicht vor einem Berge, sondern vor einem Meere, das da sicher
ewig fortdauert, mich wahrscheinlich für ewig verschlingen wird, aber
unmöglich töten kann, weil ich schon einmal unsterblich sein
muß! [BM.01_011,09] Denn könnte hier in dieser endlos
dümmsten Geisterwelt mir etwas den Tod geben, so wäre es doch
unfehlbar am ersten der furchtbare Hunger, der mich nun schon so viele
Millionen von Erdenjahren auf das entsetzlichste plagt! Wäre ich nicht
selbst eine höchstwahrscheinlich sehr luftige Seele, so hätte ich
mich schon lange gleich einem Werwolf bis aufs letzte Zehenspitzel
aufgefressen; aber so ist auch das nichts und wieder nichts! [BM.01_011,10]
Wenn mich aber dies Meer nun höchstwahrscheinlich ehestens verschlingen
wird, wie wird es mir dann in dieser endlosen Fischwelt ergehen? Wie viele
Haifische werden mich darin verschlingen, und wie viele andere Ungeheuer werden
sich an mir mit ihren Zähnen versuchen und werden mich fressen und mir
dadurch die größten Schmerzen verursachen, dabei mich aber dennoch
ewig nicht zu töten imstande sein?! O der herrlichsten Aussicht
für die ewige Zukunft! [BM.01_011,11] Vielleicht waren jene Schafe und
Lämmer so eine Art geistiger Sirenen und haben mich unsichtbar hierher
gezogen, um mich hier zu zerreißen und aufzufressen? Es ist schon
freilich beinahe endlos nicht mehr wahr, daß ich sie einmal vor Millionen
Jahren der Erde gesehen habe; aber dennoch wäre so etwas gerade nichts
Unmögliches in dieser unbegreiflich dümmsten Geisterwelt, wo man die
Jahrtausende verlebt, ohne außer sich etwas zu erschauen, zu beurteilen
und zu erkennen, ohne etwas zu tun, außer dann und wann mit sich einige
tausend Jahre lang wert- und fruchtlose Gespräche zu führen gleich
einem barsten Narren auf der Welt der Leibesmenschen! [BM.01_011,12] Ich
begreife nur das einzige nicht, daß ich nun keine größere
Furcht habe in dieser meiner sicher verzweifeltsten Lage? Ich bin im Grunde
mehr zornig als furchtsam; aber da ich niemanden habe, an dem ich meinen
gerechten Zorn auslassen könnte, so muß ich ihn wie einen
abgestandenen Essig verbeißen. [BM.01_011,13] Dennoch aber kommt es
mir vor, daß wenn selbst Gott nun, so Er irgend Einer ist, zu mir
käme, so würde mein abgestandener Essig von einem Zorne wieder ganz
frisch. Ich könnte mich weidlich vergreifen an einem solchen Scheingott,
so er irgend Einer ist, weil Er die vergängliche Welt mit zahllosen
Herrlichkeiten ausschmückte, diese unvergängliche aber schlechter
bedachte als der barbarischste Tyrann von einem Stiefvater seine ihm
verhaßtesten Stiefkinder, die ohne ihr Verschulden das Dasein erhielten
und leider, leider seine Stiefkinder geworden sind! [BM.01_011,14] O wie
herrlich wäre es, an einem solchen Gott seinen Zorn auszulassen, wenn Er
irgend Einer wäre! Aber leider, es gibt keinen Gott und kann nie einen
gegeben haben! Denn wäre irgendein gottartiges höheres Wesen, so
müßte es doch notwendig weiser sein als wir, seine Geschöpfe;
so aber ist von einer Weisheit aber auch nirgends nur eine leiseste Spur zu
entdecken! [BM.01_011,15] Denn das muß doch ein Blinder einsehen,
daß jedes Sein und Geschehen irgendeinen Zweck haben muß; ich aber
bin doch auch ein Sein und ein unverschuldetes Geschehen! Ich lebe, ich denke,
ich fühle, ich empfinde, ich rieche, ich schmecke, ich sehe, ich
höre, ich habe Hände zur Arbeit und Füße zum Gehen, einen
Mund, mit Zunge und Zähnen versehen, und einen leersten Magen; aber
dieser Gott sage mir: wozu? Wozu Millionen von Erdenjahren solche
Besitztümer, die man doch nie gebraucht? [BM.01_011,16] Also heraus
mit einem so höchst unweisen Gott! Er stehe mir zur Rede wenn Er
irgend Einer ist , auf daß Er von mir Weisheit lerne! Aber ich
könnte Ihn Ewigkeiten lang herausfordern, so wird Er dennoch nicht
erscheinen! Warum? Weil Er nicht und keiner ist!
12. Kapitel
Bischof Martin auf dem toten Punkte. Aufnahme durch das ersehnte Schiff.
Martins Dankrede an den Schiffsmann, der der Herr selbst ist.
[BM.01_012,01] Nach einer
langen Pause, in der er doch etwas furchtsam die so kühn beschimpfte und
sogar herausgeforderte Gottheit erwartete, beginnt er wieder folgendes, etwas
dumpfere Gespräch mit sich selbst: [BM.01_012,02] (Bischof Martin:)
Nichts, nichts und abermals nichts! Ich kann herausfordern, wen ich will;
schmähen, wen ich will; gröblichst beschimpfen, wen ich nur immer
will; hier gibt es niemanden, hier hört mich niemand, ich bin wie ein
alleiniges, sich selbst bewußtes Leben in der ganzen Unendlichkeit!
[BM.01_012,03] Aber ich kann ja doch nicht allein sein! Die vielen
tausendmal tausend Millionen von Menschen auf der Erde, die so wie ich geboren
wurden, gelebt haben und wieder gestorben sind, wo sollen denn diese
hingekommen sein? Haben sie etwa gänzlich aufgehört zu sein, oder
haben sie in all den zahllosen Punkten der ganzen Unendlichkeit, voneinander
endlos weit entfernt, etwa mit mir ein gleiches Eselslos? Das scheint
mir wohl das Allerwahrscheinlichste zu sein! Denn mein einstiger Führer
und darauf die schönen Schäflein und Lämmerlein waren doch ein
sicherer Beweis, daß es in dieser rein endlosen Welt wohl noch irgend
Menschen gibt! Aber wo, wo, wo? Das ist eine andere Frage! [BM.01_012,04]
Da hinaus über dies endlose Meer wird es wohl sehr wenig Lebendiges mehr
geben aber höchstwahrscheinlich endlos weit hinter meinem
Rücken! Wenn ich nur zurück könnte, so möchte ich auch
diesen Versuch machen und würde sie aufsuchen! Aber leider bin ich hier
mit Wasser ringsum so sehr verrammelt, daß eine Umkehr beinahe
unausführbar erscheint. [BM.01_012,05] Hier unter meinen
Füßen ist's zwar noch trocken, und ich stehe noch auf einem,
wennschon sehr lockeren, aber mich dennoch mit genauer Not tragenden Boden. So
ich aber den Fuß weitersetzen würde, entweder rück- oder
vorwärts, wie würde es mir dann ergehen? Sicher würde ich in den
bodenlosesten Abgrund hinabsinken, in dies endlos große Wassergrab! Darum
muß ich hier schon hocken bleiben in alle Ewigkeit, was auf jeden Fall
eine herrliche Unterhaltung für mich abgeben wird! [BM.01_012,06] Ach,
wenn es hier doch so ein kleines, aber sicheres Schiff gäbe, in das ich so
ganz frei einsteigen könnte, und das ich lenken könnte, wohin ich's
wollte: welch eine Seligkeit wäre das doch für mich nun wahrhaftig
allerärmsten Teu oho, nicht heraus; dieser Name soll nie
über meine Lippen kommen! Es wird zwar an dem Teu , nein
Gottstehunsbei ebensowenig daran sein wie an der Gottheit selbst;
aber der Begriff an sich ist so häßlich, daß man ihn
ehrlichermaßen nicht leicht ohne gewissen heimlichen Schauder aussprechen
kann! [BM.01_012,07] Was sehe ich aber dort auf dem Wasserspiegel, nicht
ferne von hier? Ist es etwa ein Ungeheuer oder etwa gar ein Schiff?
Siehe, du mein dürstend Auge, es kommt näher und näher! Bei
Gott, es ist im Ernste ein Schiff, ein recht nettes Schiff mit Segel und Ruder!
Nein, wenn das herkäme, so müßte ich von neuem an einen Gott zu
glauben anfangen; denn so was wäre ein zu auffallender Beweis gegen alles,
was ich bisher geplaudert habe! Richtig, es kommt stets näher und
näher! Vielleicht hat es gar jemanden an Bord? Ich werde um Hilfe
schreien: vielleicht hört mich jemand?! [BM.01_012,08] (laut:) He da!
He da! Zu Hilfe! Hier harrt schon eine endlose Zeitendauer ein
unglücklicher Bischof, der einst auf der Welt einen sehr großen
Herrn gespielt hat, nun aber in dieser Geisterwelt in größte
Armseligkeit versunken ist und sich nimmer zu helfen und zu raten weiß! O
Gott, o Du mein großer, allmächtiger Gott, so Du irgend Einer bist,
hilf mir, hilf mir! [BM.01_012,09] Nun seht, das Schiff nähert
sich behende dem Ufer, wo unser Mann sich befindet! An Bord ersehet ihr auch
einen gewandten Schiffer, der Ich Selbst bin, und hinter unserem Mann den Engel
Petrus, der nun, da das Schiff ans Ufer stößt, samt unserem Bischof
behende das Schiff besteigt. [BM.01_012,10] Der Bischof aber ersieht
bloß Mich als den Schiffsmann, den Engel Petrus erblickt er noch immer
nicht, weil dieser stets hinter ihm wandelt. Er geht nun überaus
freundlichen Angesichts schnurgerade auf Mich zu und spricht:
[BM.01_012,11] Welch ein Gott oder sonst ein anderer guter Geist
machte es denn, daß du mit deinem Schifflein auf diesem endlos
großen Meere dich gerade in diese Gegend verirrtest oder gar
geflissentlich hieher lenktest, wo ich eine undenklich lange Zeit der
Erlösung harrte? Bist du etwa gar ein Lotse in dieser Geisterwelt oder
sonst ein Rettungsmann? Menschen deinesgleichen müssen hier unglaublich
selten sein, indem ich jetzt seit einer undenklichen Zeitdauer aber auch nicht
die allerleiseste Spur von irgendeinem Menschen entdeckt habe!
[BM.01_012,12] O du holdseligster, liebster Freund! Du scheinst mir viel
besserer Natur zu sein als einer, der vor undenklich langer Zeit sich mir als
ein Führer in dieser Welt von selbst aufdrang, um mich auf einen rechten
Weg zu bringen! Aber das war dir ein Führer non plus ultra! Gott der Herr
mag es ihm verzeihen; denn er führte mich nur eine kurze Zeit hindurch,
und da zu lauter Schlechtem! [BM.01_012,13] Einmal mußte ich mein
Bischofskleid, das ich Gott weiß wie von der Welt mit herübernahm,
ablegen und dafür diese gegenwärtige Bauernkleidung anziehen, die
muß wohl aus einem allerbesten Stoffe verfertigt sein, ansonst sie selbst
bei meinem ruhigsten Verhalten unmöglich Millionen von Erdenjahren
gedauert hätte! [BM.01_012,14] Mit dieser Bescherung aber wäre
ich noch so leidlich zufrieden gewesen, natürlich mit der Hoffnung auf ein
besseres Schicksal. Allein, was tat da dieser Held von einem Führer? Er
selbst dingte unter manchen moralischen Sentenzen mich zu einem Hirten seiner
Schafe und Lämmer! [BM.01_012,15] Ich nahm den Dienst bereitwilligst
an obschon auf einem lutherischen Boden , ging mit einem dicken
Namenbuche seiner Herde hinaus und wollte tun, wie er mir angezeigt hatte;
allein siehe da, aus der Herde der Schafe und Lämmer wurden lauter
bildschöne Mädchen! Von Schafen und Lämmern war keine Spur mehr!
[BM.01_012,16] Ich hätte ihre Namen aus dem Buch verlesen sollen, aber
es kamen keine solchen Tiere in der ganzen Gegend vor, die ich vorher deutlich
aus dem Hause dieses lutherischen Führers gesehen hatte!
[BM.01_012,17] Wohl aber kamen, ohne sich aus dem Buche rufen zu lassen,
diese schönsten Mädchen haufenweise zu mir und scherzten um mich her
und küßten mich sogar. Und eine, die allerschönste, hat sich
gar über mich mit beiden Armen ausgebreitet und mich mit einer so
bezaubernden Anmut an ihre überzarte Brust gedrückt, daß ich
darob in einen solchen Gefühlsdusel kam, wie ich etwas Ähnliches auf
der Welt wohl nie empfunden habe. [BM.01_012,18] Die ganze Geschichte war
im Grunde sicher nicht schlecht, besonders für einen Neuling in dieser
Welt; denn wußte ich vorher, daß ich statt der Schafe und
Lämmer solche Mädchen würde in meine Obhut bekommen?
[BM.01_012,19] Aber da war, wie von einem Blitze herbeigeführt, auch
schon mein schöner Führer bei der Hand und machte mir darob eine
Predigt, die dem Martin Luther keine Schande gemacht hätte. Er gab mir
unter manchen Androhungen neue, aber noch dümmere und luftigere
Vorschriften, die ich auf das strengste hätte befolgen sollen und die
sämtlichen Schafe und Lämmer am Ende auf einen angezeigten Berg
bringen! [BM.01_012,20] Allein ich, mit diesem etwas sonderlichen Auftrag
eben nicht sehr zufrieden, bekam darauf weder den Führer noch die Herde zu
Gesichte, wartete Gott weiß wie viele Millionen Jahre, allein
umsonst; wollte endlich das Buch meinem saubern Dienstgeber ins Haus
zurückstellen. Allein das Buch, wahrscheinlich eine Art geistiger Automat,
empfahl sich von selbst, nebst der ganzen Gegend; und ich empfahl mich endlich
auch und ging. Ich kam hierher und konnte nicht mehr weiter, schimpfte eine
Zeitlang, was ich nur konnte und verzweifelte endlich völlig, da sich
durch eine so lange Dauer von keiner Seite her eine Spur irgendeiner Rettung
zeigte. [BM.01_012,21] Endlich kamst du als ein wahrhaftiger
göttlicher Rettungsengel hierher und hast mich in dein sicheres Fahrzeug
aufgenommen! Nimm meinen möglichst größten Dank dafür hin!
Hätte ich etwas, womit ich es dir vergelten könnte, wie
süß wäre das meinem dir ewig dankbarsten Herzen! Aber du
siehst, daß ich hier ärmer bin als alles, das der Mensch nur immer
als arm bezeichnen kann, und außer mir nichts besitze. Daher begnüge
dich für deine große Freundschaft mit meinem Danke und mit mir
selbst, so du mich zu irgendeinem Dienste gebrauchen kannst! [BM.01_012,22]
O Gott, o Gott, wie ruhig und wie sicher und wie schnell schwimmt dein Fahrzeug
über den brausenden Wogen dieses endlosen Meeres, und welch ein angenehmes
Gefühl! O du lieber, göttlicher Freund, jetzt sollte mein einstiger
sehr bornierter Führer da sein! Da möchte es sich denn doch der
Mühe lohnen, dich ihm vorzustellen und zu zeigen, was ein rechter
Führer und Rettet für ein Gefühl haben müsse, so er ein
Führer sein will! Ich war wohl auf der Welt selbst einmal ein Führer,
aber da schweige ich! O Dank dir! Dank! Wie herrlich geht das
Schifflein!
13. Kapitel Des
göttlichen Schiffsmannes Worte über den Segen der Einsamkeit. Ein
Beichtspiegel zur Förderung der Selbsterkenntnis.
[BM.01_013,01] Darauf
spreche Ich als der freundliche Schiffsmann: Es mag wohl recht
mißlich sein, sich lange dauernd allein zu befinden; aber ein solch
länger andauerndes Alleinsein hat doch wieder sehr viel Gutes! Denn man
gewinnt da Zeit, über so manche Torheiten nachzudenken, sie zu
verabscheuen und ganz abzulegen und aus sich hinauszubannen. Und siehe, das ist
mehr wert als die zahlreichste und glänzendste Gesellschaft, in der
allzeit mehr Dummes und Schlechtes vorkommt als Weises und Gutes!
[BM.01_013,02] Noch mißlicher aber ist die Lage, wenn das Alleinsein
mit einer Lebensgefahr bedroht ist, wenn auch oft nur zum Schein; aber
dessenungeachtet ist ein solches Alleinsein auch noch um tausendmal besser als
die anmutigste und schönste Gesellschaft! Denn in solchem Alleinsein
bedroht einen nur ein scheinbarer Untergang, für den es noch eine Rettung
gäbe, so er auch wirklich erfolgt wäre. In der bezeichneten anmutigen
und schönen Gesellschaft aber bedrohen einen Menschen nicht selten tausend
wirkliche Gefahren, jede vollkommen tauglich, Seele und Geist ganz zu verderben
und in die Hölle zu bringen, von der es nahezu keinen Ausweg mehr gibt!
Daher war dein gegenwärtiger Zustand für dein Gefühl wohl ein
sehr mißlicher, aber für dein Wesen keineswegs ein
unglücklicher. [BM.01_013,03] Denn siehe, der Herr aller Wesen sorgte
dennoch für dich, sättigte dich nach Maß und Ziel und hatte mit
dir eine große Geduld! Denn du warst auf der Welt ein römischer
Bischof, was ich wohl weiß, und verrichtetest dein heidnisches
Götzenamt zwar dem Buchstaben nach wohl sehr strenge, obschon du innerlich
nichts darauf hieltest; aber so etwas kann doch deiner eigenen Beurteilung nach
bei Gott, der allein auf das Herz und dessen Werke sieht, unmöglich einen
Wert haben! Zudem warst du sehr stolz und herrschsüchtig und liebtest
trotz deines geschworenen Zölibates das Fleisch der Weiber über die
Maßen! Meinst du wohl, dies könnten gottwohlgefällige Werke
sein? [BM.01_013,04] Du machtest dir auch mit den Klöstern viel zu
schaffen und besuchtest am liebsten die weiblichen, in denen es recht viele und
schöne Novizinnen gab. Du hattest dann ein großes Wohlgefallen, so
sie sich vor dir wie vor einem Gott niederwarfen und dir deine Füße
umklammerten und du sie dann auf allerlei moralische Proben stelltest, von
denen einige um nichts besser sind als eine komplette Hurerei! Meinst du wohl,
daß solch ein moralischer Eifer von deiner Seite Gott dem Herrn
wohlgefällig war? [BM.01_013,05] Was hast du auf der Welt gegen das
Gebot Christi, der den Aposteln gebot, keine Säcke, somit kein Geld,
keinen Rock, keine Schuhe außer im Winter und nie zwei
Röcke zu haben und zu tragen, für große Reichtümer
besessen! Welch ausgesuchte Speisen trug dein Tisch, welch glänzendes
Fuhrwerk, welche reichsten Bischofsinsignien zierten deine Herrschsucht!
[BM.01_013,06] Wie oft hast du als sein wollender Verkünder des Wortes
Gottes auf der Rednertribüne falsch geschworen und hast dich selber
verflucht, so dies oder jenes nicht wahr wäre, was du bei dir selbst doch
in deinem ganzen Leben nie geglaubt hast! [BM.01_013,07] Wie oftmals hast du
dich selbst befleckt und warst im Beichtstuhle, solange du dich noch im
selben herumtriebst, unerbittlich strenge gegen die armen Kleinen und
ließest die Großen so leicht durch, als wie leicht da springt ein
Floh durch ein Stadttor! [BM.01_013,08] Meinst du wohl, daß der Herr
daran ein Wohlgefallen haben konnte, dem doch das ganze römische Babylon
ein Greuel ist in seiner besten Art? [BM.01_013,09] Hast du je gesagt in
deinem Herzen: ,Lasset die Kleinen zu mir kommen!? O siehe, nur
die Großen hatten bei dir einen Wert! [BM.01_013,10] Oder hast du je
ein armes Kind in Meinem Namen aufgenommen und hast es bekleidet, gespeist und
getränkt? Wieviel Nackte hast du wohl bekleidet, wieviel Hungrige
gesättigt, wieviel Gefangene frei gemacht? O sieh, Ich kenne
niemanden davon; wohl aber hast du Tausende in ihrem Geiste zu harten
Gefangenen gemacht und hast der Armut nicht selten durch dein Verfluchen und
Verdammen die tiefsten Wunden geschlagen, während du den Großen und
Reichen Dispense über Dispense erteiltest natürlich für
Geld, nur manchmal bei sehr großen Weltherren aus einer Art
großimponierender Weltfreundschaft umsonst! Meinst du wohl im Ernste,
daß Gott derlei Werke angenehm und wohlgefällig sein könnten
und du darum sogleich nach deines Leibes Tode hättest sollen von Mund auf
in den Himmel aufgenommen werden? [BM.01_013,11] Ich, dein Rettmann, sage
dir das aber nicht, um dich zu richten, sondern darum nur, um dir zu zeigen,
daß der Herr an dir kein Unrecht tat, so Er dich hier scheinbar ein wenig
im Stiche ließ; und daß Er dir sehr gnädig war, darum Er nicht
zuließ, daß du sogleich nach deinem Absterben vor Gott
wohlverdientermaßen zur Hölle hinabgefahren wärest!
[BM.01_013,12] Bedenke das und schmähe nicht mehr deinen Führer,
sondern denke in aller Demut, daß du von Gott aus nicht der geringsten
Gnade wert bist, so kannst du sie wieder finden! Denn so sich die getreuesten
Knechte als schlecht und unnütz betrachten sollen, um wieviel mehr du, der
du noch nie etwas dem Willen Gottes Gemäßes getan
hast!
14. Kapitel
Bischof Martins aufrichtiges Reuebekenntnis und sein guter Wille zur Buße
und Umkehr.
[BM.01_014,01] Spricht
darauf der Bischof: O du mein hochgeehrtester und alles Dankes
würdigster Retter! Ich kann dir auf diese deine Enthüllung leider
nichts anderes sagen als: Das ist alles Mea culpa, mea quam maxima culpa! Denn
es ist alles buchstäblich wahr. Aber was läßt sich nun tun?
[BM.01_014,02] Ich fühle nun sicher die tiefste Reue über all das
Begangene; aber mit aller meiner Reue läßt sich das Geschehene
nimmer ungeschehen machen, und somit bleibt auch die Schuld und die Sünde
unverrückbar, die da ist der Same und die Wurzel des Todes. Wie aber
läßt sich in der Sünde des Herrn Gnade finden? Siehe,
das scheint mir ein völlig unmöglich Ding zu sein. [BM.01_014,03]
Darum meine ich also, indem ich nun vollkommen einsehe, daß ich
sogestaltig ganz für die Hölle reif bin: die Sache läßt
sich auf keine andere Weise ändern, außer ich würde durch eine
allmächtige Zulassung Gottes mit meinem gegenwärtigen Gefühl nun
noch einmal auf die Erde gesetzt, um daselbst so viel als möglich meine
Fehler wieder gutzumachen. Oder da ich vor der Hölle denn doch eine
zu entsetzliche Furcht habe der Herr möchte mich für die ganze
Ewigkeit als ein allergeringstes Wesen in irgendeinen Winkel stecken, wo ich
als ein allergeringster Landmann mir auf einem mageren Boden den nötigsten
Unterhalt mit meiner Hände Arbeit erwerben könnte. Dabei leistete ich
ja von ganzem Herzen gerne Verzicht auf irgendeine höhere Beseligung,
indem ich mich selbst für den allergeringsten Grad des Himmels bei weitem
zu unwert halte. [BM.01_014,04] Das ist so mein Gefühl; denn meine
Meinung kann ich's darum nicht nennen, weil ich's empfinde, daß das nun
der innerste Anspruch meines Lebens ist. Es ist auf der über Hals und Kopf
vernagelten Welt wohl auch nichts mehr zu machen; denn der allgemeine Zug des
Stromes ist nun durch und durch schlecht, so daß es beinahe zur
Unmöglichkeit wird, gut zu sein als ein Schwimmer wider den Strom.
[BM.01_014,05] Die Regierungen tun, was sie wollen, und die Religion
gebraucht man nur noch als ein politisches Opium fürs gemeine Volk, um es
leichter im Zaume und zu allem Möglichen dienstbar zu erhalten! Da sollte
der Papst selbst versuchen, der Religion eine andere, bloß geistige
Bedeutung zu geben, so wird man gegen seine deklarierte Unfehlbarkeit sogleich
von allen Seiten her mit Waffen und klingendem Spiel zu Felde ziehen. Aus dem
aber geht klar hervor, wie schwer es nun ist, besonders als ein Bischof die
rechten Wege des Wortes Gottes zu gehen, indem er auf allen seinen Wegen und
Stegen von einer Legion geheimer Aufseher beschnüffelt wird.
[BM.01_014,06] Alles das benimmt zwar weder einem Bischof noch irgendeinem
andern Menschen den freien Willen; aber wie sehr wird dadurch das Handeln
erschwert, ja in tausend Fällen sogar unmöglich gemacht was
dem Herrn sicher auch nicht unbekannt sein wird. [BM.01_014,07] Es
wäre freilich recht und billig und in dieser Zeit beinahe notwendig, des
Wortes Gottes wegen ein Märtyrer zu sein; aber was würde damit
geholfen sein? Nur ein Wort losgelassen, was mit der heiligsten Religion nun
für ein barster Mißbrauch getrieben wird, und man steckt im Loch mit
dem Auftrage des ewigen Schweigens, oder man wird so ganz heimlich aus der Welt
geschafft. [BM.01_014,08] Frage: was würde da jemand nützen
können, so er strikte gegen den Strom schwimmen wollte, so er die reinste
Wahrheit verkünden und sich opfern wollte für die geblendete arme
Menschheit? [BM.01_014,09] So man aber das aus der Erfahrung ersieht,
daß sich da rein nichts tun läßt in einer Welt, die vom
Fuß bis zum Kopf im dicksten Ärger steckt, und ihr nicht zu helfen
ist, da wird es am Ende sogar wie verzeihlich, so man bei sich selbst ausruft:
,Mundus vult decipi, ergo decipiatur! [BM.01_014,10] Ich meine
aber nun auch: der Herr sucht sicher jeden Menschen zu beseligen; aber so der
Mensch schon durchaus die Hölle dem Himmel vorzieht, so vermag Er, der
Allmächtige, ihn am Ende selbst nicht zu behindern, daß er nicht
hinabfahre in den ewigen Pfuhl bei welcher Gelegenheit dann sicher auch
der Allweiseste nichts anderes als ,Si vis decipi, ergo fiat! sagen
würde. [BM.01_014,11] Damit will ich auch nicht im geringsten mich vor
dir etwa beschönigen und meine Schuld geringer machen, als sie ist,
sondern dir nur sagen, daß man nun auf der Welt mehr ein genötigter
als ein freiwilliger Sünder ist, worauf der Herr doch sicher auch eine
gnädige Rücksicht nehmen wird. [BM.01_014,12] Ich meine nicht,
als sollte Er mir meine große Schuld darum für geringer ansetzen,
als sie in Wirklichkeit ist, sondern eine Berücksichtigung möchte ich
darum, weil die Welt wirklich Welt ist, mit der selbst beim besten Willen
nichts zu machen ist; und weil man am Ende auch den guten Willen verlieren
muß, ihr zu helfen, da man zu klar einsieht, daß man ihr gar nicht
helfen kann. [BM.01_014,13] Mein geliebtester Retter, sei mir darob nicht
gram; denn ich redete nun, wie ich's bisher verstand und einsah. Du wirst es
sicher besser verstehen und wirst mich darüber belehren; denn ich habe aus
deinen Worten entnommen, daß du voll wahrer, göttlicher Weisheit
bist und mir eine rechte Auskunft geben wirst, was ich zu machen habe, um
wenigstens nur der Hölle zu entgehen. [BM.01_014,14] Dazu gebe ich dir
auch noch die Versicherung, daß ich deinem Wunsche nach meinem
früheren Führer von ganzem Herzen vergebe! Denn ich war ja auch nur
darum ärgerlich auf ihn, da ich bis jetzt noch nicht innewerden kann, was
er mit mir für einen eigentlichen Plan hatte! Er ließ es zwar wohl
sehr unbestimmt durchleuchten, was er mit mir vorhaben könnte; aber dieses
überlange Verlassen meiner Person von seiner Seite mußte mich am
Ende über ihn doch ärgerlich machen! Aber nun ist alles vorbei, und
so er jetzt herkäme, würde ich ihm deinetwegen augenblicklich um den
Hals fallen und ihn abküssen wie ein Sohn seinen lange nicht gesehenen
Vater!
15. Kapitel Des
göttlichen Schiffsmannes Bußpredigt an Bischof Martin.
[BM.01_015,01] Nun rede
wieder Ich als der Schiffsmann: Höre mich nun an und merke genau,
was Ich dir sagen werde! [BM.01_015,02] Siehe, wohl weiß Ich, wie die
Welt beschaffen ist, weil Ich es auch weiß, wie sie zu allen Zeiten
beschaffen war. Denn wäre die Welt nicht arg oder wenigstens nur manchmal
besser als ein anderes Mal, so hätte sie den Herrn der Herrlichkeit nicht
gekreuzigt! Da ihr großböser Mutwille aber schon solches tat am
grünen Holze, um wieviel weniger wird er des dürren Reisigs schonen!
Daher gilt für die Welt ein für alle Male das, was aus dem Munde des
Herrn im Evangelium geschrieben steht und lautet: [BM.01_015,03] In diesen
Tagen d.h. in der Zeit der Welt braucht das Himmelreich Gewalt;
nur die werden es besitzen, die es mit Gewalt an sich reißen! Eine solche
moralische Gewalt aber, Freund, hast du dem Himmelreiche wohl nie angetan.
Darum darfst du die Welt eben auch nicht zu sehr anklagen, indem Meines
höchst klaren Wissens du es zu allen Zeiten bei weitem lieber mit der Welt
als irgend mit dem Geiste gehalten hast! Denn in diesem Punkte warst du eben
einer der Hauptgegner aller geistigen Aufklärung, ein Feind der
Protestanten und verfolgtest sie ob der vermeintlichen Ketzerei mit Haß
und bitterstem Ingrimm! [BM.01_015,04] Bei dir hieß es wirklich nie:
Si mundus vult decipi!, sondern ohne Gnade und Pardon: Mundus decipi debet!
und das sine exceptione! Ich aber sage dir, daß die Welt nirgends
schlechter ist als gerade in deiner und zumeist in deinesgleichen Sphäre!
Ihr seid zu allen Zeiten die größten Feinde des Lichtes gewesen, und
es gab Zeiten, wo ihr jedem nur um ein Haar heller Denkenden und Sehenden
Scheiterhaufen errichtet habt! [BM.01_015,05] Nicht die Fürsten der
Welt suchten die Finsternis bei ihren Völkern auszubreiten, sondern ihr
waret es, die ihr die Fürsten selbst in den Bannfluch legtet, so sie es
wagten, etwas heller zu denken, als es eurer finstersten, hierarchischen,
tyrannischesten Despotie genehm war! Wenn nun Fürsten selber finster sind
hie und da, so sind sie sogestaltig euer Werk; aber ihr waret nie ein Werk der
Fürsten, sondern jetzt wie zu allen Zeiten euer eigenes!
[BM.01_015,06] Daß es nun etwas schwerer ginge in manchem Lande, das
vom Lichte von A bis Z keine Ahnung mehr hat, das reine Licht Gottes
einzuführen, das weiß Ich; aber wer trägt daran die Schuld?
Siehe, niemand sonst als ihr selbst! [BM.01_015,07] Wer hieß euch je
Götzentempel und barste Götzenaltäre errichten? Wer hat euren
lateinischen sogenannten Gottesdienst angeordnet? Wer hat die Ablässe
erfunden, wer die Schrift Gottes verbannt und an deren Statt die absurdesten
und lügenhaften Legenden der sogenannten Heiligen eingeführt, wer die
Reliquien, wer die Millionen von allerlei heiligen Bildern und Schnitzwerken?
Siehe, niemand anderer, kein Kaiser und kein Fürst, sondern ihr!
Ihr allein waret zu allen Zeiten die Werkmeister der allerdicksten Finsternis,
um darinnen allerlei, groß und klein, zu fangen für euer Zepter!
[BM.01_015,08] Die Fürsten sind zumeist voll frommen Glaubens und
gehorsam eurer Lehre; sage mir, was hattest aber du, der du doch in der Schrift
bewandert warst, für einen Glauben? Und wem gehorchtest du wohl? Wieviel
hast du wohl gebetet, ohne dafür bezahlt zu sein? [BM.01_015,09] Sage,
kannst du wohl bei Gott nach all dem irgendeine Berücksichtigung erwarten,
indem die Welt nicht dich, sondern nur du die Welt in deinem Bezirke um vieles
schlechter gemacht hast, als sie ehedem war? [BM.01_015,10] Ich sage dir
aber: Was das Märtyrertum betrifft, das du angeführt hast, so
hättest du dich tausendmal eher aus herrschsüchtiger Liebe zur Nacht
ans Kreuz schlagen lassen, als nur einmal fürs reine Gotteslicht! So
hättest du auch von den Fürsten wenig zu besorgen gehabt, wenn du das
Licht hättest verkündigen lassen, und noch weniger von ihren
Aufsehern. Denn Ich weiß es nur zu gut, wie du den Fürsten
widerstandest, so sie sich gegen deine unsinnigsten, allen Menschen- und
Bruderwert verachtenden und verdammenden Forderungen sträubten!
[BM.01_015,11] Siehe, so sind Mir auch wenig Beispiele bekannt, daß
Fürsten wahrhaft helle Priester, die der Gotteslehre rein oblagen, ins
Loch steckten oder gar was von dir eine grobe Anschuldigung ist
in die Geisterwelt expedierten. Wohl aber sind mir eine ungeheure Zahl
Beispiele bekannt, daß nur ihr das an jenen tatet, die es gewagt haben,
reiner nach dem Worte Gottes zu leben! [BM.01_015,12] Wer da klug ist wie
eine Schlange und dabei sanft wie eine Taube und wandelt also des Herrn Wege:
meinst du wohl, daß der alte Gott schwächer geworden ist, als Er zu
den Zeiten der Apostel war, und somit jenem nicht mehr zu helfen
vermöchte, wenn er von der Welt bedräut wird? [BM.01_015,13] O
sieh, Ich könnte dir nebst Luther noch eine große Menge Brüder
anführen, die in einer allerfinstersten Zeit es dennoch gewagt haben, das
reine Gotteswort vor aller Welt zu bekennen. Und siehe, die Fürsten der
Welt haben keinem den Kopf vom Leibe getrennt; wohl aber ging's nur dem
schlecht, der reineren Geistes in eure Hände geriet! [BM.01_015,14] Du
wirst nun hoffentlich einsehen, daß hier, wo nichts als die reinste
Wahrheit, mit der ewigen Liebe geeint, nur gilt, mit all deinen
Entschuldigungen nichts erreicht wird außer mit der alleinigen Mea
quam maxima culpa! Das ist allein recht, alles andere gilt vor dem Herrn
nichts! Denn das wirst du wohl zugeben, daß Gott die Welt in ihren
kleinsten Fibern besser kennt von Ewigkeit her, als du sie je erkennen wirst.
Darum wäre es auch der größte Unsinn, so du Gott dem Herrn zu
deiner Entschuldigung beschreiben wolltest, wie sie ist; obschon du sagst,
daß du das nicht zu deiner Entschuldigung sagst, sondern nur, daß
der Herr mit dir eine Rücksicht nehmen solle ohne dabei im
geringsten zu bedenken, daß du selbst ein Hauptweltschlechtermacher
warst! [BM.01_015,15] Inwieweit du als ein Weltgefangener Rücksicht
verdienst, wird sie dir nicht um ein Haar entzogen werden; aber in allem dem,
was du ihr nun anwirfst, nicht die allergeringste! Was die Welt dir schuldet
vor Gott, das wird mit einer kleinen Rechnung abgetan sein. Aber deine Schuld
wird so kurz nicht ablaufen, außer du bekennst sie selbst reumütigst
und bekennst auch, daß nie du der du allzeit schlecht bist und
warst , sondern allein nur der Herr alles wieder gutmachen und dir
vergeben kann deine Schuld. [BM.01_015,16] Du hast wohl eine große
Furcht vor der Hölle, weil du dich in deinem Gewissen ihrer wert
fühlst und meinst, Gott werde dich da hineinwerfen wie einen Stein in
einen Abgrund. Du bedenkst aber nicht, daß du nur deine eingebildete
Hölle fürchtest, aber an der wirklichen ein großes Wohlgefallen
hast und nicht heraus willst in der Fülle! [BM.01_015,17] Siehe,
alles, was du bisher noch gedacht hast, war mehr oder weniger Hölle im
eigentlichsten Sinn! Denn wo nur noch ein Fünklein Selbstsucht
herausschaut und Eigendünkel und Beschuldigung anderer, da ist Hölle;
wo der fleischliche Sinn noch nicht freiwillig verbannt wurde, da ist noch
Hölle! Bei dir aber haftet das alles noch; somit bist du noch sehr stark
in der Hölle! Siehe, wie eitel da deine Furcht ist!
[BM.01_015,18] Der Herr aber, der Sich aller Wesen erbarmt, will dich
daraus erretten und nicht nach deiner römischen Maxime noch tiefer
hineinverdammen! Daher sage fürder auch nicht vom Herrn, daß Er den
durchaus in die Hölle Fahrenwollenden sage: ,So du denn durchaus zur
Hölle willst, so sei's! [BM.01_015,19] Siehe, das ist eine sehr
frevelnde Behauptung von dir! Du bist eben einer, der schon gar lange der
Hölle nicht entsagen will; wann aber hast du von seiten des Herrn ein
solches Gericht über dich vernommen? [BM.01_015,20] Bedenke diese
Meine Worte wohl und kehre dich danach in dir, so will Ich dies Schifflein also
lenken, daß es dich aus deiner Hölle in das Reich des Lebens bringen
soll. Es sei!
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